Trauma und das Nervensystem
Im Folgenden möchte ich Ihnen einige Hintergrundinformationen geben, die es leichter machen, den Ansatz der speziellen Traumatherapie Somatic Experiencing® zu verstehen:
Traumatisierung ist eine Folge von existentieller Hilflosigkeit, die Betroffene erlebt haben: sie wollten, sollten oder mussten etwas tun (sich verteidigen, kämpfen, fliehen) und konnten es nicht. Entweder, weil sie innerlich erstarrt oder noch zu klein waren oder die äußere Situation es aus unterschiedlichsten Gründen nicht zuließ. Diese Erfahrung bleibt im Nervensystem sozusagen stecken und legt die Grundlage für ein Reaktionsprogramm im Gehirn.
Das kann beim Menschen geschehen, weil sein Gehirn eine hohe Formbarkeit (Neuroplastizität) hat. Diese Formbarkeit ist einerseits ein großer Vorteil, denn wir können uns bis ins hohe Alter verändern und dazu lernen. Andererseits prägen sich, insbesondere in lebensbedrohlichen Situationen, in allergrößtem Stress oder extremer Angst, Verknüpfungen im Gehirn, die sehr überdauernd sind.
Die organismische Reaktion auf ein Trauma bewirkt deshalb ein Problem der Selbstregulation. Das heißt, dass die innere Regulation später in Stresssituationen möglicherweise nicht automatisch situationsangepasst funktioniert, sondern eine Art ‚Spezialprogramm aus alten Zeiten‘ übernimmt und den Organismus dann so reagieren lässt (Stressreaktion), als ob es sich aktuell um eine existentielle Notsituation handeln würde. Das schränkt den Spielraum der betroffenen Person ein und kann dazu führen, dass die reale Situation und die Reaktion darauf nicht zusammen passen.
Judith Lewis Herman, berichtet in dem Buch ‚Die Narben der Gewalt‘, NY 1992 von einem eindrücklichen Beispiel, das man auf unterschiedlichste Situationen übertragen kann: ein Kriegsheimkehrer, der, wieder in der Heimat angekommen, einkaufen geht, schreit bei der Fehlzündung eines Autos “In Deckung!!!“ und wirft sich hinter die nächste Mülltonne.
Was bringt ihn dazu?
Ein lauter Knall aktiviert sein Gehirn und es setzt blitzschnell ein Gesamtpaket von Verhalten und biochemischen Reaktionen in Gang. Das passiert lange bevor der Betreffende weiß, was eigentlich los ist und Zeit hatte zu überlegen, was sinnvoll wäre. Er reagiert heftig und in einer Weise, die nicht in die gegebene Situation passt. In der Kriegssituation allerdings wäre diese Reaktion genau richtig gewesen. Die Bedrohung von damals ist so tief in seinem Gehirn verankert, dass sie reflexhaft und automatisch abläuft bei einem Reiz, der an die Kriegssituation erinnert, nämlich: einem plötzlichen lauten Knall.
Wenn man darauf achtet, kann man vielleicht im Alltag in bestimmten Situationen beobachten, wie man selber manchmal nicht ganz passend, übertrieben oder sogar für einen selbst unverständlich reagiert. Wenn man diese Reaktion zwar beobachten, aber nicht stoppen kann, könnte es sich um eine Schwierigkeit mit der Regulation handeln.